Münchens Sterneküchen sind genauso bunt wie die Viertel selbst. Wir treffen die Spitzenköch*innen dort, wo sie selbst gern Mittag machen. Unsere Autorin isst ein Panino mit Mario Gamba, bevor es in sein Sternerestaurant Acquarello im Stadtteil Bogenhausen geht.
Mario Gamba gehört zu den Urgesteinen der Münchner Sternegastronomie. Zwölf Jahre lang hat er mit dem berühmten Gourmetkoch Heinz Winkler im Tantris gearbeitet, bevor er 1994 sein eigenes Restaurant eröffnete: das Acquarello. Es ist nicht nur das einzige italienische Sternerestaurant in München, sondern für viele Restaurantführer auch einer der besten Italiener der Welt. Mario Gamba führt es seit bald 30 Jahren, ans Aufhören denkt er aber noch lange nicht.
Wir treffen Mario Gamba in dem kleinen Café Mio in Bogenhausen – ein Nachbarschaftstreff, Frühstückslokal und eine äußerst beliebte Mittags-Adresse im Viertel. Alle Tische sind besetzt, zum Glück haben wir reserviert. Seit der Eröffnung 2016 hat sich das Mio zu einer Lieblingsadresse der Menschen im Viertel entwickelt. Und das liegt nicht nur an der besonderen Einrichtung, wie dem Retro-Kinderfahrrad, das über der Theke hängt, sondern vor allem am leckeren Essen: Morgens gibt es Bio-Brote mit Avocado, Bagels und Bowls und mittags wechselnde Pastagerichte. Nach einem Cappuccino zum Ankommen bestellen wir eine Pasta mit Ofentomaten und Mozzarella sowie zwei Paninis. Die isst Gamba hier besonders gerne.
Mario Gamba trägt eine Ferrari-rote Daunenjacke, die grauen Locken nach hinten gegelt. Er ist oft mit seiner kleinen Tochter nach der Schule hier, erzählt er. Außerdem wohnt er um die Ecke. Es hält ihn aber nicht nur die Arbeit in Bogenhausen: „Jedes Viertel hat seinen eigenen Charakter: Bogenhausen ist gediegen und ruhig, Schwabing dagegen kreativ und beweglich – und Giesing ist wie ein alteingesessener Münchner. Um gut zu leben, brauchen wir sie alle.“
Dass Mario Gamba in Bogenhausen und überhaupt in München gelandet ist, verdankt er, wie er sagt, dem Schicksal. Ende der 70er-Jahre sollte er eigentlich nur zwischenlanden in der bayerischen Landeshauptstadt. Er war von Mailand aus auf dem Weg nach Rio de Janeiro, um dort einen neuen Job im Sheraton Hotel anzufangen. Doch dann traf er seine erste Frau am Flughafen und beschloss, erst einmal in München zu bleiben – bis es ihn wieder in die Welt hinaus zog.
„Jedes Viertel hat seinen eigenen Charakter: Bogenhausen ist gediegen und ruhig, Schwabing dagegen kreativ und beweglich – und Giesing ist wie ein alteingesessener Münchner. Um gut zu leben, brauchen wir sie alle.“
1994 dann die nächste Entscheidung des Schicksals: Gamba hatte gerade ein Restaurant in Santa Monica in Kalifornien übernommen, als ein schweres Erdbeben die Region erschütterte. Da kam das Angebot, das Acquarello zu eröffnen. Also fiel die Entscheidung wieder auf München: „Ich bin der Stadt sehr dankbar, ich hab' mich immer wohlgefühlt und nach über 30 Jahren auch viele Freunde in München. Ich mag die Mentalität in Bayern – selbst den Grant. Ich freue mich, wenn ich über dem Brenner bin, aber genauso, wenn ich zurückfahre und von der Autobahn aus die Frauenkirche sehe.“
München als nördlichste Stadt Italiens? Was sagt eigentlich ein echter Italiener dazu – einer, der beides gut kennt? „An dem Satz ist tatsächlich viel Wahres dran. Zum einen ist da natürlich die Nähe zu Italien, dann die italienisch-inspirierte Architektur in München wie die Feldherrnhalle, die Theatinerkirche, die Ludwigstraße. Außerdem haben Oberitalien und Bayern eine ähnliche Küche, wenn man es sich genauer anschaut. Die Kalbsbrust wird in Italien nur anders gefüllt, aber das Gericht ist an sich das gleiche. Und wie in Italien leben auch in Bayern viele Genussmenschen.“
Mario Gamba ist in Bergamo geboren und aufgewachsen. Bis er 21 ist, pendelt er mit seinen Eltern und den zwei Brüdern zwischen der Schweiz und Norditalien. München fühlt sich für ihn heute ein bisschen an wie seine Heimatstadt Bergamo, da er mit beiden Städten viele Erinnerungen verbindet: „München ist meine zweite Heimat, wenn nicht sogar mittlerweile meine erste!“
Nach der Schule ließ sich Gamba zum Dolmetscher für Spanisch und Französisch ausbilden, doch schon nach einem Jahr am Schreibtisch merkte er: „Das ist nichts für mich“. Gamba stammt aus einer Gastronomenfamilie, die Großeltern hatten mehrere Hotels in Grainau und Garmisch. Dort war er oft zum Essen eingeladen, beobachtete seinen Onkel in der Küche, immer viele Gäste, immer was los. Da wusste er: Das will ich machen! Der Onkel bot ihm eine Ausbildung als Hotelfachmann an.
Eine klassische Koch-Ausbildung hat Gamba allerdings nie gemacht. Und dann gleich in die Sternegastronomie? „Ich dachte mir, wenn ich schon ein Autodidakt bin, dann möchte ich meine Eltern auf keinen Fall enttäuschen. Deshalb wollte ich gleich mit den Besten kochen!“ Also arbeitete Gamba bei verschiedenen Drei-Sterne-Köchen – dem Franzosen Alain Chapel, dem Italiener Gualtiero Marchesi und schließlich bei Heinz Winkler.
Die erste Drei-Sterne-Köchin seines Lebens war allerdings seine Mama, erzählt er stolz: „Sie hat jeden Tag frisch und gut für uns alle gekocht, am Wochenende gab es immer drei Gänge. Die gefüllte Pasta hat sie schon am Freitagabend vorbereitet und am Samstag schnell eine Torte gebacken.“ Noch heute wird der Rinderschmorbraten im Acquarello nach dem Rezept von Gambas Mutter zubereitet.
Seine Mama machte ihm auch das erste Gericht, das ihm in Erinnerung blieb: luftig-leichte Kartoffelgnocchi in stundenlang eingekochter Tomatensoße. „In unserer Küche zuhause war es immer ganz still, weil meine Mama dort konzentriert und mit Hingabe gekocht hat. Deswegen habe ich immer in der Küche meine Hausaufgaben gemacht, weil es hier besonders ruhig war.“ Und auf diese Stille beim Arbeiten legt Mario Gamba auch heute noch großen Wert.
Wir spazieren rüber ins Acquarello und dürfen gleich in die Küche zum Zusehen. Tatsächlich fällt auf, wie ruhig hier gearbeitet wird. Man spürt den Respekt, mit dem vor allem die jungen Mitarbeiter ihrem Chef begegnen. Der 67-Jährige ist allerdings niemand, der schreit oder ausrastet. Wenn jemand einen Fehler macht, spricht er denjenigen erst am nächsten Tag im Meeting darauf an. Das Team ist bunt durchmischt, Gamba bekommt Bewerbungen aus aller Welt.
„Ich freue mich, wenn ich über dem Brenner bin, aber genauso, wenn ich zurückfahre und von der Autobahn aus die Frauenkirche sehe.“
Kein Wunder, denn das Acquarello gehört zu den ältesten Sternelokalen Münchens – nur das Tantris gibt es noch länger. Seit dem Jahr 2000 hat der Guide Michelin an das Lokal in Bogenhausen durchgehend einen Stern vergeben. Das Acquarello war aber auch schon „Bester Italiener Deutschlands“, zählte zu den „10 besten Italienern in der Welt“ und war sogar unter den „Top 5 italienischen Restaurants weltweit“. Mario Gamba wurde mehrmals als „Chef of the Year“ ausgezeichnet.
Neben dem Rinderschmorbraten hat sich auch das Gamba-Carpaccio zum Signature-Dish entwickelt. Dieses sieht nicht nur fantastisch aus, sondern wird auch aus den besten Garnelen der Welt zubereitet. Die „Gamberi Rosso di Mazara“ werden an der Westküste Siziliens bei Mazara in bis zu 700 Meter Tiefe wildgefangen, erzählt uns Gamba. Ihren Geschmack verdanken sie unter anderem dem besonders salzhaltigen Wasser.
„München ist meine zweite Heimat, wenn nicht sogar mittlerweile meine erste!“
In den fast 30 Jahren haben Gamba und sein Team im Acquarello über 3000 verschiedene Gerichte gekocht. Und trotzdem ist der Chefkoch noch mit Leidenschaft dabei. Er spricht mit großer Hingabe über Süßwasserfische, schwenkt konzentriert die Ravioli in der Pfanne und plant gerade eine Kochschule an verschiedenen Orten in Italien. Ja, Nichtstun fällt ihm tatsächlich schwer, das gibt er zu. Sogar in den zwei Wochen Urlaub, die er sich jedes Jahr nimmt. Wenn er nicht gerade Tennis spielt oder durch die Landschaft von Capri wandert, entdeckt er neue Lebensmittel auf dem Markt oder fragt seine Freunde, ob er für sie kochen darf.
Ähnlich ist es auch mit dem Acquarello: In den letzten drei Jahrzehnten gab es so viele Projekte, Gäste und besondere Events, dass man sie kaum alle aufzählen kann. Zwei temporäre Zweigstellen des Restaurants – das Acquarello Mexiko und das Acquarello Italien. Mario Gamba hat auf der ganzen Welt gekocht, unter anderem in Singapur, Moskau, Kuala Lumpur, in New York, Paris und London. In seinem Restaurant haben schon die Rolling Stones gespeist, Cameron Diaz, Elton John. Und Celine Dion sang nach dem Essen für das Team das „Phantom der Oper“ in der Küche. Von diesen Geschichten kann Mario Gamba Dutzende erzählen.
Bevor wir gehen, habe ich noch zwei Fragen: „Wie überlebt ein Sternerestaurant in einer Großstadt so lange Zeit?“ Für Mario Gamba ist die Antwort leicht: „Wenn du sagst, ich schaffe das, dann schaffst du es auch. Die stärkste Kraft ist der eigene Wille.“ Die zweite Frage ist eher persönlich: „Wie kann man nach so vielen Jahrzehnten harter Arbeit so frisch aussehen?“ Mario Gamba muss lachen: „Das ist die Freude, dass ich machen kann, was ich liebe – meine Küche. Zwei Drittel unseres Lebens verbringen wir mit Arbeit, entweder du liebst es oder du machst was anderes.“